Zur Zeitlichkeit der Wahrnehmung in Biofeedback-Prozesse

Biodatenskulptur COSMOTIC

„Das war auf jedenfalls ein befremdliches Gefühl, dass die eigene Atmung plötzlich so sichtbar wird. […] Befremdlich, obwohl es so alltäglich ist, aber das zu sehen! Es war als wäre diese Kugel oder die ganzen Zacken in mir drinnen, also in der Lunge. Es war so als war das mein Innenleben. Befremdlich, weil es so ein ungewohntes Bild ist.“

(X.09-W )
Spiel mit der eigenen Atmung im Feedback als Biodatenskulptur 

In einer multisensorischen und VR-gestützten Installation konnten Interakor_Innen ihre mediale Erfahrungen mit Biofeedbackprozessen sammeln und diese anschließend im Gespräch mit mir reflektieren. Weder um subjektive noch um objektive Zeitwahrnehmungen geht es mir, sondern um die Zeitlichkeit der Wahrnehmung und die Lücken, die in der Konstruktion von menschlicher wie sensorischer Wahrnehmung entstehen. 

Die hier zugrundeliegende Experimentalanordnung umfasst bei genauerer Betrachtung mehrere Interfaces, die ineinander verschachtelt sind und die jeweils ihre eigen Prozesshaftigkeit mit sich bringen. Diese verschieden artigen Interfaces bringen sowohl zeitliche Verdichtungen und Dehnungen hervor als das sie auch von Brüchigkeit, Spaltungen oder Perforationen gekennzeichnet sind – „Zeitlöcher“, die Ursprung von aisthetischen Konstruktionen sind. 

Doch wie sind die Kontigenzzeitspannen oder Unbestimmtheitsräume, die sich im zeitlichen Akt des Ausbalancierens zwischen dem Latenten und Präsenten innerhalb der Feedbackloops ergeben, zu denken?

Ausgehend von der Argumentation einer zeitlich-spekulativen Lücke von Mark B. N. Hansen, möchte ich anhand von ausgewählten empirischen Belegen die zeitbasierte Subjekt-Objekt-Relation aufzeigen. In Ergänzung und Kontrastierung jener spekulativen Lesart stelle ich mit Bezug auf phänomenologische Deutungsweisen durch Maurice Merleau-Ponty aber auch Michael Polanyi und Gilles Deleuze die wechselseitige Durchdringung menschlicher und technischer Empfindsamkeit dar.

Das Interface als ein Prozess der Mediation rief uns Alexander Galloway in Erinnerung, doch Mark B.N. Hansen mahnte nicht allzu vorschnell die Subjekt-Objekt Beziehung im Interface zu unterminieren. Da menschliche Handlungsmacht als eine Konfiguration des Elementaren operiere und sich über viele Ebenen und Skalierungen verstreue und verteile, bedürfe es einer Neukonzeptionierung von Subjektivität. Subjektivierung ist demnach im gesamten Netzwerk verteilt und alle Erfahrungsereignisse umfassen sowohl objektive als auch subjektive Elemente, wobei die Trennung in Subjekt-Objekt relational zu verstehen sei, d.h. ein Subjekt wird durch Verdatung, also Zeit zum Objekt.

Die Sensoren als technische Bauteile, welche physikalische oder chemische Eigenschaften der Umgebung erfassen, können riesige Mengen an Verhaltens- und Umweltdaten ohne aktive menschliche Beteiligung, Initiative oder Bewusstsein registrieren und einem Netzwerk zur Verfügung stellen. Wie Hansen richtig antizipiert, dehnt sich damit das umweltliche Empfindungsvermögen enorm aus. Bei genaueren Blick jedoch relativiert sich diese „riesigen Mengen“. 

Die digitale Repräsentation körpereigener Prozesse wurden aufgrund einer seriellen Schnittstelle erzeugt, die ausgedrückt in der BAUD-Rate festlegt, wieviel Info pro Sekunde durch das Interface zur Erzeugung der digitalen Repräsentation übermittelt wird. Durch die prozessorientierte Programmierung war Zeitlichkeit und damit auch eine Begrenztheit an Daten bereits in die Datenstrukturen implementiert. Auf der anderen Seite der Schnittstelle liegt ein Arduino in dessen Programmierung ebenfalls  eine Frequenz festgelegt wurde, die beschreibt in welchem zeitlichen Abstand die Daten vom Sensor ausgelesen werden sollen. Innerhalb der technischen Interfaces werden analoge, umweltliche Signal als quantitative Messgrößen – in digitale, elektronische Signale umgewandelt, wodurch Informationsverlust entsteht. Sensorische Systeme fungieren somit als Wandler. Ein Wandler in seiner Subjektivität empfängt und liefert den Input für ein ganzes System.

Um Medien und Subjektivität in ihrer „grundlegenden Ko-Implikation oder wechselseitige Immanenz auf einer weitaus »elementareren« Ebene“ erfassen zu können, geht Hansen in seiner Erklärung auf  Alfred Norths Whiteheads Anschauung zurück. (Medien des 21. Jahrhunderts, S. 368.)

Mit der von Whitehead beschriebenen Bifurkation von Subjekt und Objekt gehe ich soweit mit. Hansen versucht dies auf die durch Technik bewirkte Verdatung auszudehnen. Es geht ihm also um Erfassensprozesse sensorischer Wirklichkeit, die weit unterhalb der menschlichen Erfahrung liegen. Beispielsweise konnte ich einen plötzlichen Fall der Körpertemperatur beim Flug eines Erfahrungsexperten (BK.20-M) durch die „Sonne“ im UserDataProtokoll (UDP) mitverfolgen, welche sofort mit dem Herausfliegen aus der Sonne sich wieder auf ihren Ausgangswert einstellte. Der Proband konnte dies nicht reflektieren. 

Weiter argumentiert Hansen eine geringfügige zeitliche Lücke, die zwischen der Subjektivität und den Erfahrungsereignissen einer objektivierten Welt liegt. Hansen spricht hier jene Latenz an, aus der sich bestimmte Ereignisse realisieren und somit in menschliche Erfahrung als Prozesse einer Objektivierung (wieder) einschreiben. 

Echtzeit-Tracking-System, in denen das Ereignis und dessen Speicherung kongruent stattfinden, können nicht existieren. Viele der Erfahrungsexperten bemerkten die geringe Latenzzeit auf Grund der Rechenkapazität nicht und konnten sich voll und ganz auf ihre Körperobjektivierung konzentrieren und spürten ihren Körper intensiver durch die zusätzliche audiovisuelle Rückkopplung. 

Die bewußte Manipulation der digitalen Umgebung durch den eigenen Körper hing entscheidend vom Grad der Körperbewusstheit des Interakteurs oder der Interakteurin ab. Mit der Fähigkeit der Steuerung und Störung konnte auch die Überprüfung der Funktionsfähigkeit des technischen Ensembles durchgeführt werden, wie beispielsweise folgender Proband beschrieb: 

„Der Herzschlag sollte da wiedergegeben werden mit Verzögerung. Ja, da ist eine große Latenz drin gewesen. Ich habe dann so Tests gemacht. Ich hab die Luft angehalten und geguckt wie schnell das Ding hinterhergekommen. Die Frequenz des Klanges hat sich natürlich verändert und ich wollte gucken, wie groß die Verzögerung ist. Wie es sich anpasst. […] Ja, es war zu träge und zu langsam. Ich hab mich nicht verbunden gefühlt, sondern eher als wäre ich in einer Simulation… Ich war mir eben bewußt, dass ich gerade in einem Programm bin und habe halt ausprobiert, was das Programm kann. Der operationale Aspekt hat mich dann mehr interessiert. Es hat sich nicht echt angefühlt. Ohne Feedback und Resonanz wird es uninteressant, weil man den Kontakt verliert.“

(C.06-M)

Aufgrund seiner Latenzzeit wurde der technische Akteur nicht unsichtbar, sondern wirkte ganz offensichtlich als Mediateur, als Wandler zwischen Körper und digitaler Welt. Durch die Ambivalenzen,  die in der technisch-vermittelten Wirklichkeit durch die Latenzzeit eintrat, reflektierten einige Erfahrungsexperten, dass genau jene zeitliche Perforation ein „Gefühl der Ergriffenheit“, des „Präsenzerleben“ oder das „Gefühl des Eintauchens“ verhindere.

Dabei ist eine geringe zeitliche Lücke zwischen Subjektivität und seiner Objektivierung notwendige Voraussetzung der Verdatung, argumentiert Hansen weiter. Er begreift den „ursprünglichen“ Erfassensprozess der Verzeitlichung als Objektivierung und dieser vollzieht sich in zwei Phasen. 

In der ersten Phase findet der Prozess der „subjektiven Konkretisierung und Vereinigung“ statt, um „wirkliche Einzelwesen“ zu erzeugen. Dieser erste Erfassensprozess liege jenseits aller Möglichkeiten unmittelbarer Erfahrung, innerhalb einer potenziellen oder virtuellen Sphäre und damit außerhalb der Zeit. Hier am Ursprung jeglicher Erfahrung liege eine spekulative Lücke, die durch den Vorgang des Wirklich-werdens von Einzelwesen, geschlossen werde.

„[…] Das Spekulative führt dazu, dass kein empirische Handlungsträger – ob Mensch oder Mikrobe […] – je unmittelbar auf wirkliche Einzelwesen (Ereignisse) bzw. Elementarerfahrungen an sich trifft oder sie erfährt. […] Wirkliche Einzelwesen werden erst dann erfahrbar – also sind an der Erfahrung beteiligt -, sobald sie verdeutlicht worden sind. Durch den Prozess der Verdeutlichung treten wirkliche Einzelwesen überhaupt erst in den Bereich der Erfahrungen. Dies bedeutet, dass es am Ursprung der Erfahrung immer eine »spekulative Lücke« gibt und dass das Erfassen, sofern es im spekulativen wie im empirischen Bereich wirkt, eben diese Lücke besetzt oder schließt, diese Kluft, diesen Spalt vernäht. […] Genauer schließen Erfassensprozesse in und durch ebendiesen Vorgang des Wirklichwerdens die spekulative Lücke, die die metaphysische Sphäre – in der wirkliche Einzelwesen eine `Erklärung´ liefern für das, was ist – vom empirischen Bereich trennt, der aus dieser Erklärung folgt und aus dem diese Erklärung ausgeschlossen bleibt.“

HANSEN, Mark B. N.: „Medien des 21. Jahrhunderts, technisches Empfinden und unsere originäre Umweltbedingung“. Die technologische Bedingung: Beiträge zur Beschreibung der technischen Welt. Hrsg. Erich Hörl. Originalausgabe. Berlin: Suhrkamp Verlag, 2011. 365-409., hier S.378f.

Die zweite Phase des Erfassensprozess beschreibt die Vollendung jener wirklichen Einzelwesen zu Gesellschaften, d.h. als verkörperte Information. Mit dieser Objektivierung, also der Verzeitlichung und Verdatung der Kollektion von Einzelwesen, treten diese in die empirische Sphäre ein und wären überhaupt erst wahrnehmbar. Die Wahrnehmung als kausale Wirksamkeit begriffen, ist bereits eine Form der Reflexion von Empfindung und nicht wie James J. Gibson argumentierte als ein Prozess des unmittelbaren Aufnehmens zu verstehen.

Jene Interakteur_Innen, die Körperpraktiker_Innen sind, nahmen die audiovisuelle Gestaltung in der sogenannten „Sonne“ als ihr Biofeedback wahr, und beschrieben ein intensives Gefühl des Schwebens. Sie reflektierten annähernd in eine meditativen Zustand gewesen zu sein (CB.12-M, BK.14-W, BK.20-M).

„Ich habe schon gemerkt als ich in der Sonne stand, dass ich durch die Musik automatisch ein bisschen mehr in einen Meditationszustand gegangen bin und dadurch mehr nochmal bei meinem Körper war und dadurch nochmal mehr meine eigene Körperwärme gemerkt habe.“

(BK.14-M)

Entscheidend hier ist, dass sich zeitliche Prozesse des Wahrnehmens überschneiden und überlappen, d.h. neue gegenwärtige Empfindungen sich mit vergangenen sensorischen Erfahrungen vermengen. Hansen argumentiert, dass im Wahrnehmungsprozess stattfindende Ineinander- und Zusammenschieben von Informationen zur Reduktion dessen führe, was wirklich war. Er spricht von „Armut der Wahrnehmung“. Jene Reduktion finde in dem „Augenblick statt, wenn die reiche kausale »Vergangenheit« in eine körperlich-wahrnehmende Operation kanalisiert wird, hier als Bewusstsein beschrieben.“ (Medien des 21. Jahrhunderts, S.393)

Die paradoxe Struktur der spekulativ-zeitlichen Lücke ist notwendige Voraussetzung für Gestaltungsprozesse, die Wahrnehmungskonstruktionen entstehen lassen. Die Genese der Erfahrung ereignet sich auf Grundlage zeitlicher Differenz. Somit muss Zeit selbst als Medium begriffen werden. Die Zeit fungiert als Medium der Differenzierung. Zeit ist Element, in dem sich das Sein moduliert.

Wird die quantitative Beschreibung der  Zeit – hier als homogene Zeit verstanden (als Folge von Jetztpunkten), dann mag dies tatsächlich zur Reduktion führen. Doch wenn Zeit als qualitativ gefasst wird, dann lassen sich die verschiedenen Dimensionen der Zeit in ihren Zusammenhang begreifen. Daher denke ich in diesem qualitativen Sinne, dass es nicht richtig wäre von „Reduktion“ zu sprechen, als vielmehr von Selektion innerhalb des Wahrnehmungsprozesses. 

Der Wahrnehmungsphänomenologie von Merleau-Ponty zufolge wird Selektion als Form der Aufmerksamkeit verstanden: „Aufmerken ist nicht lediglich zuvor schon Gegebenes klare ins Licht zu setzen; vielmehr ist es die Leistung der Aufmerksamkeit, solches Gegebene ursprünglich gestalthaft zu artikulieren.“ Die Aufmerksamkeit ist, so Merleau-Ponty das „wissende Nichtwissen einer noch ‚leeren‘ und gleichwohl schon bestimmten Intention“. Sie ist die „Wirkursache“, die etwas zur Erscheinung bringt. (PdW, S. 49 und 51)

Unabhängig von der jeweiligen digitalen Repräsentation oder technischen Schnittstelle sind nicht-digitale Formen der Leiblichkeit ontologisch und erkenntnistheoretisch den digitalen Erfahrungen vorrangig. Die Reden über digital Embodiment übersehen diese Bedingtheit häufig.

Ich möchte nochmals auf das Ausgangszitat eingehen. 

Dem überlebensgroßen Spiegelbild eigener leiblicher Prozesse gegenüber zustehen, empfand die Interakteurin als befremdlich. Folge ich der Phänomenologie Merleau-Pontys, dann ist diese „Befremdlichkeit“ ein Ausdruck der Polarität und Ambivalenz zwischen subjektiven Leib und objektivierten Körper. Obwohl das Atmen eine alltägliche, ja lebensnotwendige Gewohnheit ist, ist es ein Unterschied das Ein- und Ausatmen im Körper leise zu spüren oder eben willentlich zu tun und diese gewöhnliche Praxis mit den eigenen Augen zu erleben. Die eigene Atmung wurde somit auf doppelte Weise gespürt. 

Für Merleau-Ponty, der implizit einen ontologischen Zeitbegriff formulierte, gleichen sich Subjektivität und Zeitlichkeit einander in Struktur und Dynamik des „Sich-überschreitens“. Das Entfalten des Lebens und in eins der Zeit wird vollzogen, ohne das dafür Syntheseleistungen des Bewusstseins notwendig wären, weil der Bezug auf Welt durch die Leiblichkeit vollzogen wird. Zeit ist die Entfaltung und das Erscheinen von Subjekt und Objekt in der Struktur der Gegenwart.

Normalerweise erfährt sich der Körper als Medium innerhalb seiner Erfahrung an der Peripherie seines Wahrnehmungsfeldes. Statt als Medium des Weltbezugs zu dienen, macht sich der Körper als störend, widerständig und in seiner Opazität bemerkbar. Selbstverständliches wird auf einmal unvertraut, zweifelhaft oder fremd; Implizites wird explizit und tritt in den Fokus der Aufmerksamkeit. Diese Explikation des Impliziten bedeutet somit auch eine gewisse Selbstentfremdung. 

Michael Polanyi hat die Struktur der Leiblichkeit als „implizites Wissen“ herausgestellt. Es beruhe auf Prozessen der Gestaltbildung, die es uns ermöglichen, Ganzheiten und Sinneinheiten anstelle der Einzelelemente zu erfassen. Das heißt: Durch Proximales hindurch, das selbst implizit oder transparent bleibt, richten wir uns auf Distales im Fokus unserer Aufmerksamkeit.

Das reflexive Bewusstsein dient grundsätzlich dazu, die in den impliziten Vermittlungen entstandenen Lücken durch neue Verknüpfungen wieder zu schließen – gleichsam die Brüche zu reparieren, die sich in der Leiblichkeit aufgetan haben (Dies meint, was Mark B N. Hansen mit den Erfassensprozessen beschrieben hat.)

Michael Polanyi begreift die „Lücken“ nicht als Grund von Reduktion, sondern als Subzeption, nämlich als das, was sich der bewussten Wahrnehmung entzieht bzw. auf einer vorreflexive Wahrnehmungsebene liegt. Somit liegt keine Reduktion der Wahrnehmung vor und kann nicht, wie von Hansen oder auch Galloway begriffen, als Kontinuum gedacht werden. Eben gerade weil es keine lückenlose Wahrnehmung gibt, werden Gewohnheiten notwendig.

Durch Übung und Gewöhnung inkorporiert sich der Körper neue Vermögen, die wiederum ihrerseits Raum und Zeit falten und formal organisieren. Der Körper ist für ein neues Vermögen transparent geworden, sodass sich das fokale Bewusstsein aus der Handlung zurückziehen und auf das distale Ziel richten kann. Hier werden also unter bewusster Aufmerksamkeit neue Fähigkeiten erworben, solange bis man schließlich wieder vergessen hat, wie man tut, was man tut. 

Das reflexive Bewusstsein, also die Rückwendung der Aufmerksamkeit auf den Lebensprozess selbst – vom Disteln zum Proximalen, vom Sinn zum Sinnträger – führt häufig zu einer Desintegration gewohnter, selbstverständlicher Vollzüge und kann eine gewissermaßen analytische, zersetzende Wirkung auf die impliziten Koppelungen der Leiblichkeit ausüben, wie es oben zitiertes Fallbeispiel mit der „Befremdlichkeit“  zum Ausdruck brachte. Was bedeutet diese Selbstentfremdung in zeitlicher Hinsicht?

In zeitlicher Hinsicht entzieht sich der Lebensvollzug der unmittelbaren Selbstbeobachtung und geht der reflektierenden Feststellung immer voraus. Ich stelle mir das so vor, dass das eben erst Vergangene sich in solchen Feedbackschleifen wie in ein sich endlos fortsetzender Spiegel wieder erscheint. Der sonst offene Horizont verspiegelt sich.

Das Spiel mit der eigenen Atmung, die im Spiegelbild der Biodatenskulptur externalisiert wurde, löste eine Zirkulation der Intensität zwischen Software, Interaktor_in und auch uns Entwickler aus. Die von uns programmierte Kontraktion der Skulptur beim Einatmen und Relaxion beim Ausatmen, intensivierte sich mit jeder Wiederholung, weil die Atmung durch die audiovisuelle Rückkopplung bewusster, tiefer geschah; die Aufmerksamkeit auf diese gelegt wurde. Hinzu kam die Möglichkeit mit den Händen die rhythmische Bewegung des Objektes zu manipulieren, so dass die Skulptur – die in ihrer körperlichen Bewegung die Atmung repräsentierte – dadurch Variationen in ihrer Formation erfuhr. 

Diese Variationen in der Formation konnten im Spiel zu solchen Exzessen führen, dass die Atmung eine andere Qualität bekam. Was zeigt diese Intensität der Atmung an? 

In seinem Werk Differenz und Wiederholung etabliert Deleuze die Gewohnheit als Kontraktion und erste Synthese der Zeit. In der lebendigen Gegenwart, die sich in der rhythmischen Bewegung der Biodatenskulptur zeigt, kann der Gewohnheit des Ein- und Ausatmens etwas Neues entlockt werden eben durch die Wiederholung in Form einer Intensitätsdifferenz. Genau mit der Deleuzschen Intensitätsdifferenz erklärt Deuber-Mankowsky die Intensivierung zwischen Lebendigen und Technischem.

Diese Intensitätsdifferenz stellt eine empfundene Differenz dar, die wie die Gewohnheit eine Quale, also ein qualitativer Eindruck ist. Während die Intensität der Atmung in der Biodatenskulptur funktional und transitorisch ist, also als quantitative Größe präsentiert wird, zeigt sie sich gleichsam als qualitative Größe im Erleben des/der Interaktor_In. Das differentielle Spiel zwischen funktionaler und expressiver Bedeutung, welches sich hier ergibt, entspricht der Differenz zwischen physikalischer Intensität, die gemessen werden kann und ästhetischer Bedeutung der Intensivierung, die sich als Quale der Messung entzieht. (Vgl. Variationen des Spiels, S. 234)

Während aus wissenschaftlicher Perspektive die Intensität als Variable einer Funktion im Bereich der quantitativen Größen verbleibt, stellt die Intensität im Bereich der Ästhetik eine Qualität, oder, um einen andern Begriff von Deleuze zu wählen, ein Empfindungswesen dar, das meint, eine Empfindung, die dauert und zur Ausdrucksbewegung wird. Eine Empfindung setzt sich fort und wird zur Bewegung und diese Bewegung wird im Prozess des Biofeedback immer wieder zurückgesetzt, in Schleife gesetzt, wobei durch die ständige Wiederholung Versetzungen bzw. jene Intensitäten entstehen.

Die Zeitlichkeit, welche den technischen Akteure eingeschrieben ist, ist determiniert und ergibt eine konstanten Rhythmus. Jedes Bauteil schwingt in seinem eigenen Rhythmus und dieser beschreibt in welchem Abstand die Perforation der Zeitlichkeit angelegt ist. Durch die unterschiedlichen Rhythmen können zeitlich-spekulative Lücke entstehen, die durch das technische System interpoliert werden und dem Gedanken des Kontinuums beitragen. Die objektive, d.h. gemessene Zeit stellt selbst eine Abstraktion oder Ableitung der erlebten Zeit dar.

Der menschliche Körper in seiner Offenheit und  Unabgeschlossenheit erfährt sich innerhalb solcher Biofeedbackprozesse sowohl als Medium als auch als Objekt seiner Wahrnehmung, welche durch Selektion bzw. Aufmerksamkeit geprägt ist. Auf Grund der irregulären Brüchigkeit wie auch zeitweisen Dehnungen von menschlicher Wahrnehmung kommt es zu Varianzen und Intensitäten des Rhythmus, die vom Körper in Gewohnheiten transformiert werden können, also ihrerseits zeitlich wieder „gefaltet“ und organisiert werden.

Die Interfaces zwischen Körper und digitaler Umgebung sind durch eine „zeitlich-spekulative Lücke“ gekennzeichnet. Der zeitliche Abstand zwischen Erfassen und Wahrnehmen, zwischen virtueller und aktueller Sphäre verbindet das lebendige Sensorium mit dem Technisch-Sensorischen. Genau durch diese zeitliche Differenz, die sich mit Latenz ausdrückt, ergibt für die menschliche Subjektivität, einen Spielraum, in dem sich Wahrnehmung konstituieren kann. 

„Interfaces“ beschreiben sich als eine Zeit des Filtrierens, Transformierens und Assoziierens. 

Zeit und Subjektivität vollbringen her Selbstkonstitution durch die Öffnung auf Anderes: Das Subjekt konstituiert sich, indem es sich auf anderes hin öffnet und sich von diesem differenziert. Die technische Sichtbarmachung körperlicher Vermögen ermöglichte zwar menschliche Präsenzerfahrung, ließ jedoch zeitweise jegliche Unterscheidung zwischen Körper und Welt indifferent werden. Das bedeutet für mich, dass die technisch erzeugten zeitlichen Schleifen jene Entfaltung von Subjektivität und damit Differenzierung von Subjekt und Objekt hemmten. Die Zeitlichkeit der Wahrnehmung kann sich nicht voll entfalten.

Wenn Merleau-Ponty in seinem Spätwerk Das Sichtbare und das Unsichtbare schreibt: „[…] die sichtbare Landschaft vor meinen Augen [ist] nicht äußerlich und synthetisch mit…den anderen Momenten der Zeit und der Vergangenheit verbunden […], sondern dies [hat sie] wirklich hinter sich […], in Simultanität, drinnen bei sich und nicht beide Seite an Seite `in´ der Zeit.“ (SU, 336.), dann wird diese Tiefe in Biofeedbackprozessen verflacht. Diese Tiefe, d.h. Simultanität ist „die eigentliche Dimension des Simultanen“ und das „Verborgenen“(SU, 279). Durch sie erhalten die Dinge erst hinter sich Struktur, Gegenwart und wahrnehmbare Oberfläche.

Weil simultan ablaufender Prozesse sich überlappen und überschneiden, ko-konstituieren sensorisch  erfasste, objektive Empfindungen im Effekt die menschliche Wahrnehmung bzw. führen diese auf das jüngst Erlebte wieder zurück. Weiter noch wirken menschliche Reflexionen nach, die das eben erst Vergangene zu explizieren suchen und interferieren mit dem Präsenten. Präsenz und Latenz überlagern sich sowohl räumlich als auch zeitlich und intensivieren sich durch ihre Interferenz. 

Literatur

DELEUZE, Gilles. Differenz und Wiederholung. Überst. v. Vogl, Joseph. München: Wilhelm Fink Verlag 2007.

DEUBER-MANKOWSKY, Astrid: „Variationen des Spiels – Seeing Red von Su Friedrich mit Deleuze, Guattari und Benjamin“. Reinhold Görling Hrsg. Astrid Deuber-Mankowsky. Wien: Turia + Kant, 2017. 213-37.

 GALLOWAY, Alexander R. The Interface Effect. John Wiley & Sons 2012.

HANSEN, Mark B N.: Bodies in Code: Interfaces with New Media. London: Routledge 2006.

—„Medien des 21. Jahrhunderts, technisches Empfinden und unsere originäre Umweltbedingung“. Die technologische Bedingung: Beiträge zur Beschreibung der technischen Welt. Hrsg. Erich Hörl. Originalausgabe. Berlin: Suhrkamp Verlag, 2011. 365-409.

MERLEAU-PONTY, Maurice (1966). Phänomenologie der Wahrnehmung. Perspektiven der Humanwissenschaften, Band 7. De Gruyter 201.

Das Sichtbare und das Unsichtbare – Gefolgt von Arbeitsnotizen (Übergänge). Übersetzt v. Regula Giuliani und Bernhard Waldenfels. München: Wilhelm Fink Verlag 1986.

 POLANYI, Michael. Implizites Wissen. Übers. v. Horst Brühmann. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 2016.

WHITEHEAD, Alfred North. Prozeß und Realität: Entwurf einer Kosmologie. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 1987.